Carinthiacus 2022 Nominee: Pascal Nicolay
FH-Prof. Dr. habil. Pascal Nicolay stammt aus der Region Lothringen (Frankreich). Er studierte Physik in Grenoble und anschließend angewandte Physik und Innovationswissenschaften an der Université de Lorraine, an der er 2007 im Bereich Mikrosensorik promovierte und 2018 an der Université de Technologie de Compiègne auch habilitierte. Über zehn Jahre war er in der Industrie als F&E Projektmanager tätig, bevor er im April 2019 als Professor für Smart Material an die FH Kärnten wechselte. Außerdem leitet er das Forschungszentrum CiSMAT (Carinthia Institute for Smart Materials) und ist assoziierter Forscher im Institut Jean Lamour in Nancy, Frankreich.
FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr.-habil Pascal Nicolay
Head of CISMAT (Carinthia Institute for Smart Materials)
KWF-endowed Professorship for Smart Materials
Associate Researcher at IJL (Institut Jean Lamour)
Kategorie: International
Herr Nicolay, Sie sind als Professor für Smart Technologies an der FH Kärnten tätig, leiten das junge Forschungszentrum Carinthia Institute for Smart Materials (CiSMAT), bauen einen Lehrgang für „Smart Materials für eine grünere Industrie“ auf und sind assoziierter Forscher am Institut Jean Lamour in Frankreich. Wie kommt es, dass Sie sich Kärnten als Ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ausgesucht haben?
Nicolay: Ich reiste 2006 zum ersten Mal nach Kärnten, um mich mit Vertreter:innen des Forschungszentrums Carinthian Tech Research (CTR AG, heute Silicon Austria Labs) zu treffen. Die CTR AG hatte eine für uns interessante technische Lösung entwickelt. Zudem haben mich die Schönheit der Kärntner Winterlandschaft und auch die Stadt Villach mit ihrer besonderen traditionellen Atmosphäre fasziniert. Fünf Jahre später bot sich mir die Gelegenheit, dem CTR-Team beizutreten.
Die Aktivitäten des Forschungszentrums CiSMAT und Ihres Lehrgangs sind der Entwicklung nachhaltiger Lösungen gewidmet, um den Übergang zu einer grüneren Wirtschaft und Industrie zu erleichtern. Inwiefern gelingt es Ihnen und Ihrem Team, diesen Übergang mit Kärntner Unternehmen in die Praxis umzusetzen?
Das CiSMAT-Zentrum wurde im Dezember 2019 gegründet. Wir konnten seitdem eine Reihe neuer vielversprechender Ideen in den Bereichen intelligenter Beton-Materialien für die Energierückgewinnung und -speicherung sowie für den Leichtbau erfolgreich testen. Wir entwickeln Lösungen in enger Zusammenarbeit mit unseren Industriepartner, von denen viele davon in Kärnten ansässig sind. Im Rahmen unseres Lehrgangs „Smart Materials für eine grünere Industrie“ wollen wir unsere Teilnehmer:innen mit umweltfreundlichen technischen Lösungen, welche auf innovativen Werkstoffen sowie Konstruktions- und Fertigungstechniken basieren, vertraut machen. Dadurch sind sie in der Lage, die schädlichen Umweltauswirkungen industrieller Tätigkeiten zu reduzieren. Das neue Wissen soll den Unternehmen dabei helfen, bessere Produkte zu niedrigeren Kosten zu entwickeln.
Zu Ihren Forschungsthemen gehört unter anderem die Entwicklung von passiven Sensoren, die ohne Elektronik und Batterien auskommen und in Betonbauteile eingebettet werden können. Wo finden diese neuen Technologien ihre Anwendungen im Alltag und welche Vorteile haben Sie gegenüber der bereits bestehenden Technologie?
Die Betonindustrie ist für 8 % der weltweiten CO2-Emissionen pro Jahr verantwortlich. Um die Umweltauswirkungen der Betonindustrie zu reduzieren, wird die Lebensdauer der Bauwerke verlängert. Dazu muss ihre Wartung verbessert werden, was den Einsatz von speziellen Sensoren erfordert, die größtenteils an Oberflächen montiert sind. Diese Messsysteme sind aber der Witterung ausgesetzt und liefern nur Information über den Zustand der Oberfläche. Integrierte Sensoren haben den Vorteil einer längeren Lebensdauer und besseren Kenntnis des inneren Zustands der Strukturen. Um eine Lebensdauer von mindestens 80 Jahren zu gewährleisten, ist es daher notwendig, passive Systeme ohne Elektronik oder Batterien zu verwenden. Diese Technologie entwickeln wir derzeit bei CiSMAT in Zusammenarbeit mit unseren Kolleg:innen aus dem Fachbereich “Bauingenieurwesen” der Fachhochschule Kärnten. Wir hoffen, dass wir in den kommenden Jahren einen Sensor zur Überwachung des Gesundheitszustands von Brücken und Tunneln auf den Markt bringen können.
Welche Vorteile bietet Kärnten für Sie als Wirtschafts-, Technologie-, Forschungs- und Bildungsstandort?
Kärnten ist in diesen Bereichen eine außergewöhnliche Region. Besonders eindrucksvoll sind sowohl die Dynamik, die Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsgeist der lokalen, kleineren und mittelgroßen Unternehmen, als auch die gezielte und effektive Unterstützung, die Industrie und Wissenschaft durch lokale Organisationen erhalten. Das technisch-wirtschaftliche Ökosystem in Kärnten hat ein enormes Potenzial, das wir bestmöglich nutzen wollen, um weiter zu wachsen und gemeinsam für Kärnten und aus Kärnten hinaus erfolgreich zu sein.
Dank Ihrer Kontakte kommt es zu einem engen Austausch der Kultur und Industriegesellschaft zwischen Frankreich und Kärnten. Gelingt Ihnen damit eine weitere internationale Orientierung des Kärntner Wirtschaftsraumes?
Wenn ich mich in Frankreich befinde, versuche ich, aktiver Botschafter Kärntens zu sein. Insbesondere beim Aufenthalt an der Université de Lorraine, an welcher ich als Dozent und assoziierter Forscher tätig bin. Wir stellen regelmäßig Forschungs- und Entwicklungsprojekte zwischen Frankreich und Österreich auf die Beine, darunter Doktorarbeiten. Auch mehrere Praktikant:innen aus renommierten französischen Ingenieurschulen (z.B. Supméca in Paris) absolvieren jedes Jahr ein Forschungspraktikum bei uns in Villach. Aber ich möchte noch mehr tun. Lothringen ist eine hochindustrialisierte Region mit vielen dynamischen und innovativen Unternehmen, die in ihrer Branche führend sind. Ich hoffe, dass ich in naher Zukunft die Gelegenheit habe, aktiver und systematischer zur Annäherung dieser beiden Regionen auf technologischer und wirtschaftlicher Ebene beizutragen.
Sie sagen, ihr Ziel ist es, grünere Technologien zu erforschen, um langfristig einen Beitrag zu den Anforderungen der Kärntner Wirtschaft, aber auch der internationalen Industrie im Rahmen der Energiekrise zu leisten. Inwiefern ist es, als Vater zweier Kinder, auch Ihre persönliche Motivation?
Selbstverständlich gibt es eine persönliche Motivation für mich als Vater, aber auch als Bürger von Kärnten, Österreich, Frankreich und Europa. Unsere Industrie ist eine der wichtigsten Säulen unserer westlichen Zivilisation und der modernen Welt. Unsere Umwelt und ihre Biodiversität müssen dringend geschützt werden. Der Kampf für unsere Industrie im Kontext des grünen Wandels ist daher zweifellos eines der wirksamsten Mittel, um unsere Lebensqualität langfristig zu erhalten.
Herr Nicolay, ganz persönlich gefragt: Bei all Ihren Tätigkeiten, Verantwortlichkeiten und Forschungsarbeiten, woher holen Sie sich Ihre Inspiration? Wie schaffen Sie es, über den Tellerrand zu blicken, um neue Lösungen zu kreieren?
Kurz gefasst: „Cross-fertilization of ideas”. Wenn ich Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und mit verschiedenen Kompetenzen aufmerksam zuhöre, kann ich Probleme erkennen, die auf eine Lösung warten. Somit kann ich Lösungen kreieren, die verschiedene Konzepte miteinander kombinieren. Ich benötige allerdings für die Umsetzung dieser Konzepte kompetente Kolleg:innen, die ich glücklicherweise bei CiSMAT und an der FH Kärnten finden kann!
Herr Nicolay, wir bedanken uns für das Interview, den Einblick in Ihre wertvolle Forschungsarbeit und gratulieren Ihnen nochmals zur Nominierung des Carinthiacus-Awards 2022!