Carinthia.com: Herr Kirschner, Sie haben eine umfangreiche Studie zu den volkswirtschaftlichen und regionalpolitischen Effekten des Koralmtunnels geleitet. Was war die wichtigste Erkenntnis der Standortstudie?
Eric Kirschner: Die wichtigste Erkenntnis ist: Es entsteht eine neue urbane Agglomeration mit rund 1,1 bis 1,2 Millionen Einwohnern, die von Villach bis nach Graz reicht und das erzeugt natürlich eine entsprechende internationale Sichtbarkeit und ist eine starke Aufwertung. Was wir auch herausgefunden haben, ist, dass wir erstens maßgebliche Effekte auf dem Arbeitsmarkt haben werden und zweitens im Bereich der Demografie. Gerade die Bereiche, die zwischen Klagenfurt und Graz liegen, werden schlagartig gut erschlossen. Das wird einen deutlichen Zuwachs generieren. Wenn diese Regionen ihre Hausaufgaben machen, können sie den demografischen Trend aufgrund der neuen Erreichbarkeitsverhältnisse fast brechen.
Carinthia.com: Stichwort internationale Sichtbarkeit: Können Sie die Größe des neuen Ballungsraumes, der prognostiziert wird, einordnen im internationalen Vergleich?
Kirschner: Steiermark und Kärnten sind hochentwickelte europäische Industrieregionen. Die direkten Abnehmer und Konkurrenten sind vor allem der süddeutsche Raum, Bamberg, München, Nürnberg, auch Stuttgart, die über Größenvorteile verfügen – bisher. Denn dieser Nachteil der geringeren Größe wird künftig ausgeglichen und man kann dann in einer Liga mit diesen Regionen spielen. Das ist glaube ich ganz wichtig. Was aber auch enorm wichtig ist, ist das Angebot an Arbeitskräften und -plätzen. Das Angebot an Arbeitsplätzen, die erreichbar sind, wird massiv steigen. Sie können dann zum Beispiel in Graz arbeiten, etwa in einem großen Industrieunternehmen im Grazer Umfeld, da gibt es eine große Auswahl, und der Partner oder die Ehefrau kann im Dienstleistungsbereich in Villach/Klagenfurt tätig sein und umgekehrt. Das Angebot für Unternehmen, genau die Beschäftigten zu finden, die sie brauchen und gern hätten, steigt ebenso massiv, weil das Einzugsgebiet so extrem vergrößert wird. In diesem Punkt profitiert Kärnten relativ gesehen mehr, weil Klagenfurt direkt auf den Grazer Arbeitsmarkt zugreifen kann. Das sind über 200.000 unselbständig Beschäftigte, die in diesem neuen Einzugsgebiet zusätzlich erreicht werden können.
Carinthia.com: Wenn wir Kärnten aus Sicht eines Logistikunternehmens betrachten: Welche Ergebnisse rücken dann vor allem in den Fokus?
Kirschner: In der Logistik geht es ja um größere Entfernungen, da muss man die Koralmstrecke als Teil der Südbahnstrecke begreifen. In vier oder fünf Jahren wird der Semmering-Basistunnel eröffnet. Diese Gebirgsbahn, die wir seit Erzherzog Johanns Zeiten haben, wird eine Flachbahn. Das heißt, man kann signifikant Güter umschlagen und hat einen Korridor von Triest und Fürnitzer Trockenhafen bis ins Baltikum. Daher ist es ein sehr spannender Umschlagort und es tun sich einige Chancen auf im Bereich Logistik, zumal es erklärtes Ziel der europäischen Union ist, möglichst viel Warenumschlag von der Straße weg zur Schiene zu bringen. Gleichzeitig ist es nicht so einfach, die Warenströme zu verändern. Die Logistik, die jetzt da ist, ist ein eingespieltes System und für eine Änderung braucht es natürlich entsprechende Spieler, die kritische Massen generieren. Das braucht sicher Zeit und das ist glaube ich die Hauptherausforderung.
Carinthia.com: Was verändert sich für den europäischen Güterverkehr durch die Koralmbahn?
Kirschner: Auch in diesem Bereich kommt es immer mehr zu einem Umdenken, es wird immer wichtiger, dass nachhaltig produziert wird, dass nachhaltig geliefert wird. Gleichzeitig haben sich die Erwartungen im Zuge von Covid, dass es zu einer Reimportierung der Lieferketten kommt, nicht unbedingt bewahrheitet. Klar ist daher auf alle Fälle, dass der Güterverkehr wichtig ist und dass der Transport auf der Schiene an Bedeutung gewinnen wird. Vor allem, weil auch zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur kommen wie der Semmering-Tunnel und eine bessere Erschließung des Balkans. Allein die Zeit, die man sich sparen kann, wenn man in Triest umschlägt und nicht nach Hamburg fährt und nach Rom, und Güter dort verkappt und dann nach Österreich liefert, ist ein enormes Plus. Ich glaube auch, dass diese Änderungen passieren werden, das wird nur noch etwas Zeit brauchen.